Chinesische Kalligraphie: Kulturelle Wertigkeit in Europa und Asien
Japanische und chinesische Schriftzeichen haben in Westeuropa mittlerweile einen gewissen Kultstatus erlangt. Vor allem Ende der 1980er und in den 1990er Jahre tauchten diese ästhetischen Zeichen als Prints auf Kleidung oder als Wandschmuck in Form von Postern oder handgemalten Bildern auf. Nach wie vor sind japanische und chinesische Schriftzeichen beliebte Motive für Tätowierungen. In einer SPIEGEL-Reportage vom September 2012 wurde der Psychologe Dirk Hofmeister zitiert, der als Begründung für die Beliebtheit von Schriftzeichen als Tätowierungen nicht nur die Ästhetik, sondern auch das Geheimnis der Bedeutung für die meisten westlichen Betrachter sieht. Wer als Europäer geheimnisvoll wirken möchte, lässt sich also chinesische Schriftzeichen stechen und bietet Anlass zu Spekulation und einen Ansatzpunkt zur Kommunikation.
Chinesische Kalligraphie als eine der vier Künste
Chinesische Schriftzeichen als Kunstform sind nicht nur in Form von Tätowierungen zu finden, sondern auch als gedruckte oder handgemalte Zeichen in der Malerei. Besonders vollkommen gelungene Schriftzeichen bezeichnet man als Kalligraphie. Chinesische Kalligraphie ist eine der vier Kunstrichtungen (neben dem Go-Spiel, Musik und Malerei), die seit Jahrhunderten in China gepflegt wird. Dabei ist die chinesische Kalligraphie im Ansehen der Malerei gleichgestellt, ja nicht selten enthalten chinesische Malereien sogar Kalligraphien, sodass beide Kunstformen verbunden werden, oft auch mit lyrischem Element. Dabei gibt es genau festgelegte Regeln, wie die Kalligraphie auszusehen hat. Wichtigstes Utensil sind die Schreibmaterialien: Pinsel, Tusche, Reibstein und Papier. Diese Werkzeuge nennt man „die vier Schätze des Gelehrtenzimmers“, was auf den enormen Stellenwert der Kalligraphie schließen lässt.
Chinesische Kalligraphie und ihre kulturelle Wertigkeit
Ähnlich wie im Musikspiel nach Noten ist in der Kunstform der Kalligraphie der Anspruch in möglichst genauer Ausführung nach vorgegebenen Leitlinien, wobei immer doch Spielraum für Interpretationen bleibt. Die Art der Kalligraphie lässt also Rückschluss auf die Persönlichkeit des Künstlers schließen. Eine Ausbildung in Kalligraphie zu genießen war in China stets ein hohes Gut. Prominentester Kalligraph des Landes war wohl Kaiser Song Huizong, der um das Jahr 1.100 regierte. Er hatte die hohe Kunst des Schönschreibens derart perfektioniert, dass es seither als nobel galt, seinem Beispiel nachzueifern und sich in Kalligraphie zu üben, so dass schließlich Unterricht in Kalligraphie zum guten Ton gehörte. Zeitweise war chinesische Kalligraphie Teil der Beamtenprüfung in China. Wer es also im Staatsdienst zu etwas bringen wollte, musste unter anderem ein schönes Schriftbild haben.
Chinesische Kalligraphie in Kalligraphieschulen
Chinesische Schriftzeichen bestehen aus zusammengefügten Komponenten. Anders als bei etwa bei der lateinischen Schrift gibt der Aufbau der Schrift bzw. des Schriftzeichens nicht automatisch die Reihenfolge vor, in der der die einzelnen Komponenten des Zeichens geschrieben werden. Chinesische Kalligraphie setzt an diesem Punkt an, indem sie einen Schwerpunkt darauf legt, in welcher Reihenfolge die einzelnen Teile eines Schriftzeichens zu Papier gebracht werden. Im Gegensatz zum gedruckten Zeichen ist es bei handschriftlichen Kalligraphien bei genauem Betrachten erkennbar, in welcher Reihenfolge das chinesische Schriftzeichen gesetzt wurde. Das chinesische Schriftzeichen „Yong“ beispielsweise bedeutet Ewigkeit und vereint die acht Prinzipien, auf denen chinesische Kalligraphie aufbaut: Punkt, Querstrich, gerader Strich, Haken, Abheben des Pinsels, Schrägstellen des Pinsels, Picken und Vorwärtsdrängen. Das Ergebnis dieser verschiedenen Schreibtechniken sind unterschiedliche Strichstärken und verschiedene Anfangs- und Endformen der Linien. In Schulen für Chinesische Kalligraphie werden diese Elemente eingeübt. Wichtiger Grundsatz für chinesische Kalligraphie ist auch, dass die Seele des Künstlers in der Kalligraphie widergespiegelt wird. Oberstes Ziel ist also eine ebenmäßige Schrift, das Zeichen sollte möglichst in einem Zug gesetzt werden und der Pinsel aufrecht gehalten werden, was laut chinesischer Deutung auf eine aufrechte Seele schließen lässt.
Chinesische Kalligraphie in verschiedenen Stilen und Techniken
Ursprünglich bekannte chinesische Schriftzeichen finden sich eingeritzt auf Knochen oder Schildkrötenpanzer und heißen daher Knochenschrift. Diese wohl über 3.000 Jahre alten Schriftzeichen beugen sich in Ihrer Form der Technik. Deshalb dominieren im Schriftbild gerade und eckige Linien, denn sie sind leichter zu ritzen als runde Formen. Dennoch zählt man auch die Ritzungen auf Knochen und Schildkrötenpanzer zu den ersten Arbeiten, die chinesische Kalligraphie beinhalten. Aus der Knochenschrift entwickelt sich nach der Jahrtausendwende die Siegelschrift mit relativ ausgeschmückten Darstellungen und vollkursivem Schriftbild. Wie der Name sagt, waren die Abbildungen hauptsächlich auf Siegeln verwendet. Der kalligraphische Anspruch war hier selbstverständlich besonders gegeben.
Chinesische Kalligraphie nach der Jahrtausendwende
Parallel dazu wurde die offizielle Kurialschrift eingeführt, die häufig Gegenstand von Kalligraphien war und ist. Das Schriftbild ist nicht so kantig wie bei der Knochenschrift und nicht ganz so rund wie bei der Siegelschrift. Als Meister der Kalligraphie sind vor allem Wang Xizhi und sein Sohn Wang Xianzhi aus der Jin-Zeit in die chinesische Geschichte eingegangen. Sie prägen bis heute die Grundlagen vieler Kalligraphie-Schulen und veränderten das Schriftbild für chinesische Schriftzeichen. Der Einfluss auf das Schriftbild ist deshalb so wichtig, weil sich chinesische Schriftzeichen über Jahrhunderte nicht verändert haben und erst durch den Einfluss dieser Kalligraphen angeglichen wurden. Viele noch heute bekannte Kalligraphen aus der Jin-Zeit entstammen aus der Wang-Familie.
Daneben gibt es auch die Grasschrift oder auch Konzeptschrift. Diese Schriftart ist eine der Hauptformen, derer sich chinesische Kalligraphie bedient. Wichtigstes Merkmal ist die schnelle Schreibweise, bei der die Formen fließender werden und sich einem höheren Schreibtempo anpassen. Dem zugunsten werden bestehende chinesische Schriftzeichen vereinfacht dargestellt, also Haken werden abgerundet, kleinteilige Formen werden nur angedeutet. Die Grasschrift ist eine interessante Strömung, denn entgegen dem Anspruch der Perfektion, den Kalligraphie von Kurialschrift oft mit sich bringt, macht die Grasschrift Zugeständnisse an Praktikabilität auf Gunsten der Lesbarkeit. Heutige Kalligraphie befasst sich mit den verschiedenen Stilen. Unterschiedliche Stile sind Ausdruck der verschiedenen Künstlerpersönlichkeiten und Kalligraphieschulen. Dass chinesische Schriftzeichen nicht nur wegen ihrer Jahrtausende alten Bedeutung geschätzt werden, sondern auch wegen Ihrer kalligraphischen Vollkommenheit, beweist die Verbreitung chinesischer Kalligraphie weit über den asiatischen Kulturraum hinaus.
Chinesische Kalligraphie in den bekanntesten Werken
Kaum ein Meister hat die chinesische Kalligraphie so beeinflusst wie Wang Xizhi. Von ihm stammt auch das wohl bekannteste Werk chinesischer Kalligraphiekunst, nämlich das „Vorwort zu der Zusammenkunft am Orchideenpavillon“ , eine Gedichtsammlung, die Wang Xizhi zusammen mit seinen Freunden erstellte. Dieses Schriftstück galt als derart perfekt, dass sich Kaiser Tang Taizong im Jahr 649 zusammen mit dieser Kalligraphie begraben ließ.
Ebenfalls schon erwähnt wurde Kaiser Song Huizong, dessen „Gedicht und Kalligraphie“ aus dem 12. Jahrhundert die wohl am häufigsten reproduzierte chinesische Kalligraphie ist. Interessant ist, dass bereits Song Huizong Kalligraphie und Malerei verband, etwa in seinem Werk“ Kraniche“. Auf der rechten Bildhälfte ist die Malerei, auf der linken Bildhälfte ergänzend die Kalligraphie. Auch in der Grasschrift übte sich Song Huizong in Kalligraphie und sein „Tausend Zeichen Gras Skrip“ verdeutlicht schön den Kontrast der unterschiedlichen Arten von Schriftzeichen.
Dieses Phänomen taucht im Laufe der chinesischen Kunstgeschichte durch die Jahrhunderte auf. Ein weiteres bekanntes Beispiel ist das Landschaftsbild in Tusche von Dong Qichang, das schon beinahe zum Standardwerk chinesischer Kunst geworden ist. In einer Perspektive von schräg oben wird dem Betrachter eine chinesische Landschafts-Szenerie aufgefächert. Zwischen Felsen und fügen sich Hütten und Brücken ein, über dem Bergmassiv am Himmel thronen chinesische Schriftzeichen in schönster Kalligraphie.
Chinesische Schriftzeichen in Asien und Europa
Chinesische Kalligraphie als Kunstform ist in Asien auch heute noch gegenwärtig. Von klassischen Tuschezeichnungen bis hin zur Neonreklame sind die Ausprägungen sehr unterschiedlich. Während Chinesen auch Jahrtausende alte chinesische Schriftzeichen oft noch deuten können und die Faszination daher eher in ihrer Tradition besteht, liegt die Anziehungskraft in Europa im Gegensatz daher eher in der Mystik und im Unbekannten. Auf beiden Kontinenten werden chinesische Schriftzeichen aber wegen ihrer Ästhetik geschätzt, also in Form von Kalligraphie.
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